„Müssen“ auf Japanisch, oder: viele Wege führen nach Tokio

„Müssen“ ist eine der grundlegensten Vokabeln, die man in einer neuen Fremdsprache lernt – leider sucht man danach im Japanischen vergeblich. Stattdessen stehen eine Reihe von Konstruktionen zur Verfügung, die zunächst kompliziert anmuten und dem lernwilligen Anfänger großes Unbehagen bereiten. Auf den zweiten Blick ist die Sache aber gar nicht so wild: wer Bedingungen ausdrücken kann („falls X, dann Y“), der hat auch „müssen“ fast schon gemeistert.

muessen

Das Ausdrücken einer Pflicht oder Notwendigkeit funktioniert im Japanischen grundlegend anders als im Deutschen. Während wir einfach ein eigenes Wort dafür benutzen („Ich muss in die Arbeit gehen“) sagen die Japaner lieber, dass es schlecht wäre, wenn wir etwas nicht täten („Wenn ich nicht in die Arbeit gehe, ist das schlecht“). Schwierig oder für unsere deutschen Augen kompliziert wird das Ganze eigentlich nur, weil es im Japanischen mehrere Möglichkeiten gibt, eine solche „wenn…dann“ Konstruktion vorzunehmen, und auch dieses „das wäre schlecht“ oder „das funktioniert nicht“ kann man auf verschiedene Arten ausdrücken.

1. „Müssen“ mit „と“ und „だめ“

だめ bedeutet soviel wie „schlecht, zwecklos, nutzlos, erfolglos“. Es soll einfach zeigen, dass das, was man vorhat, zu nichts taugt und nicht getan werden sollte. と ist ein kleines Wörtchen, das sehr viele Einsatzzwecke hat. Es kann häufig mit „und“ übersetzt werden.

多美子たみこちゃんのぞみちゃんは一緒いっしょまちく。
Tamiko-chan und Nozomi-chan gehen zusammen in die Stadt.

Auch sehr häufig begegnet man ihm als „Zitatpartikel„. Es zeigt an, dass es sich bei dem Vorausgegangenen um etwas Gesagtes oder Gedachtes handelt.

それは素敵すてきなアイディアだう。
„(Das ist eine tolle Idee) denke ich“
= Ich denke, dass das eine tolle Idee ist.

Für das Thema dieses Artikels interessant ist aber vor allem die Verwendung von „to“ als Ausdruck einer Bedingung.

試験しけんのために 勉強べんきょうしない失敗しっぱいする。
„(Ich lerne für den Test nicht) (Ich versage)“
= Wenn ich für den Test nicht lerne, werde ich versagen.

Im vorangegangenen Beispielsatz würde man wahrscheinlich eher „tara“ wählen, um die Bedingung einzubauen, aber zum Zwecke dieser Erklärung bleiben wir an dieser Stelle bei „to“. Es fehlt nun nämlich nur noch ein sehr kleiner Schritt, um „müssen“ zu sagen:

試験しけんのために勉強べんきょうしないとだめだ。
„(Ich lerne für den Test nicht) (schlecht/nicht gut)“
= Ich muss für den Test lernen.

Manchmal wird (in der mündlichen Sprache) die Folge unseres Handelns einfach weggelassen. Anstatt „wenn ich für den Test nicht lerne, ist das schlecht“ sagt man also einfach nur noch: „Wenn ich für den Test nicht lerne…“
Die verhängnisvolle Konsequenz spricht man gar nicht mehr aus.

試験しけんのために勉強べんきょうないと
„Falls ich für den Test nicht lerne…“
= Ich muss für den Test lernen.

Nur mit der negativen Form des Verbs und „to“ können wir also bereits „müssen“ ausdrücken – das war einfacher, als gedacht! Und es gibt noch eine gute Nachricht: das grundsätzliche Prinzip wird sich im Folgenden nicht mehr ändern. Unsere Formel „Wenn ich XY nicht tue, dann ist es schlecht“ bleibt dieselbe.
Wir benutzen eine andere Konditionalform und tauschen auch „dame“ mit dem förmlicheren „ikenai“. Herauskommt ein Ausdruck, der wegen seiner Länge häufiger in der Schriftsprache verwendet wird.

2. „Müssen“ mit der „-ba“ Form des Verbs und „ikenai“

Bedingungen können auch mit der „-ba“ Form des Verbs ausgedrückt werden.

十分じゅうぶんかねあればケーキがえます。
Falls ich genug Geld habe, kann ich mir eine Torte kaufen.

Die Form zu bilden ist nicht schwer: man ersetzt das abschließende „u“ des Verbs mit „eba“. Handelt es sich um ein negatives Verb mit „-nai“ Endung oder geht es um ein i- Adjektiv, so streicht man das letzte „i“ und ersetzt es mit „kereba“.

試験しけんのために勉強べんきょうしなければ失敗しっぱいします。
Falls ich für den Test nicht lerne, werde ich versagen.

Wir sind an dieser Stelle schon fast wieder bei „müssen“ angelangt. Anstatt „dame“ verwenden wir diesmal aber das förmlichere „ikenai“:

試験しけんのために勉強べんきょうしなければいけない.
„Falls ich für den Test nicht lerne, ist das schlecht/nicht gut“
= Ich muss für den Test lernen.

Als Resultat haben wir eine eher unhandliche Konstruktion erhalten, die ohne vorherige Erläuterung auf Anfänger sehr abschreckend wirkt. Wegen der Länge wird sie aber auch von Muttersprachlern bevorzugt (aber nicht ausschließlich) in geschriebener Sprache verwendet. Wie für alles, das ein bisschen umständlich über die Lippen geht, gibt es aber auch in diesem Fall eine einfachere Version.

3. „Müssen“ mit „なきゃ“

Das längliche „nakereba“ kann mit dem kürzeren „nakya“ ersetzt werden, und im Mündlichen wird das auch häufig getan.

試験しけんのために勉強べんきょうなきゃいけない.
Ich muss für den Test lernen.

„ikenai“ kann weggelassen werden, um den Satz noch weiter abzukürzen.

試験しけんのために勉強べんきょうなきゃ.
Ich muss für den Test lernen.

Das sehr handliche Ergebnis klingt entsprechend umgangssprachlicher und im Schriftlichen sollte man auf den Einsatz von „なきゃ“ deshalb verzichten.

4. „Müssen“ mit der negativen „-te“ Form des Verbs

Eine noch nicht behandelte Möglichkeit, um „müssen“ auszudrücken, passt in unser gerade erarbeites „wenn XY, dann schlecht“ Schema leider nicht hinein, erinnert aber zumindest daran und macht uns so das Lernen leichter.
Anstelle der negativen „-ば“ Form des Verbs benutzt man die negative „て-Form“ und hängt noch die は Partikel daran.

試験しけんのために勉強べんきょうなくてはだめ。
oder
試験しけんのために勉強べんきょうなくてはいけない。
Ich muss für den Test lernen.

Mir persönlich hilft der Umstand, dass in Aufzählungen mit „-て“ auch immer ein kausaler Zusammenhang mitschwingen kann, um diese Konstruktion gedanklich einzuordnen. Das ist allerdings nur eine Eselsbrücke und mehr nicht. なくては kann auch mit dem weniger förmlichen なくちゃ ersetzt werden, allerdings nur im Mündlichen (ähnlich wie なきゃ).

Wir haben nun eine ganze Menge an miteinander kombinierbaren Wörtern kennengelernt, die eine breite Palette an Förmlichkeitsnuancen abdecken. なくちゃ, なきゃ und だめ sind dabei am umgangssprachlichsten, なくては und いけない formeller. Das bisher noch nicht erwähnte ならない übertrifft dabei いけない und taucht sehr häufig auf offiziellen Dokumenten auf. Wie immer tut man gut daran, eine Kombination aus höflicheren und weniger höflichen Wendungen zu vermeiden. Das Ergebnis muss nicht immer merkwürdig klingen, aber als nicht-Muttersprachler ist man mit einer möglichst homogenen Mischung auf der sicheren Seite.

Natürlich gilt: Übung macht den Meister. Je öfter ihr diesen Strukturen begegnet, desto mehr werdet ihr euch an sie gewöhnen. Mit diesem Artikel wollte ich zeigen, dass das Themengebiet „müssen“ im Japanischen auf den ersten Blick vielleicht chaotisch aussehen mag, aber eigentlich einer gewissen Logik folgt.

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