Könnt ihr ein bisschen Japanisch und mögt die alten Retro-Games für Snes und Co? Na, dann habt ihr allen Grund es mal mit der Originalversion zu versuchen, die ja häufig aus Japan kommt. Bei der Übersetzung geht nämlich einiges verloren und was gibt es schon Schöneres, als einen alten Klassiker zu genießen und dabei gleichzeitig Japanisch zu lernen? Heute steht auf dem Programm: Tenchi Sōzō für Super Famicom (deutscher Titel: Terranigma), ein absoluter Insider-Tipp, den man mit Fug und Recht als missverstandenes Kunstwerk bezeichnen kann.
Nach dem großen Knall
In dem Spiel schlüpft ihr in die Rolle des jungen アーク, der in dem einzigen Dorf einer mysteriösen Unterwelt lebt. Teuer zu stehen kommt euch dabei euer neugieriger Entdecker-Drang: eine verbotene Kiste öffnet ihr, und plötzlich erstarren alle Dorfbewohner zu leblosen Eissäulen. Zunächst lautet also eure Aufgabe: zieht aus, um den Fluch des Dorfes zu brechen! Während ihr das tut, gehen jedoch ein paar merkwürdige Dinge von statten; sukszessive befreit ihr nämlich nicht nur eure Freunde von dem magischen Bann, sondern hebt gleichermaßen auch versunkene Kontinente einer unbekannten „Oberwelt“ aus den Tiefen des Meeres empor. Diese haben uns vertraute Namen: Afrika, Eurasien, Australien… könnte es sich vielleicht um unsere Welt handeln? Davon habt ihr keine Ahnung, wenn ihr sie dann wenig später betretet, nur eines seht ihr: was immer hier früher einmal war, nun ist es ein Ort der Verwüstung. Nackt und karg sind die Länder, sowohl nach Pflanzen als auch nach Tieren sucht ihr vergeblich – etwas Schreckliches muss geschehen sein. An diesem Punkt beginnt nun das eigentliche Spiel.
Eure Agenda ist gewaltig: Als Schöpfer wollt ihr das Leben nicht nur soweit wiederherstellen, bis ein paar Salamander über die Felsen kriechen, oh nein – ihr seid erst fertig, wenn unter euren Händen eine hochtechnisierte Zivilisation erblüht. Dann vielleicht werdet ihr auch endlich Hinweise darauf finden, was für ein Übel die große Vernichtung einst ausgelöst hatte. Vieles liegt ja noch im Dunkeln: kann die Katastrophe vielleicht wiedergeschehen? Wie stehen Ober- und Unterwelt miteinander in Beziehung? Wer ist eigentlich dieser アーク, den ihr da steuert, und wie ist er bloß in diese fast göttliche Rolle hineingerutscht? Wer ist überhaupt sein Gegenspieler, und, wenn ihr an eure geliebten Menschen in der friedlichen Heimat zurückdenkt: könnt ihr nach der epischen Queste zurückkehren und euer privates Glück machen? Auf diese und weitere Fragen dürft ihr gespannt sein; „Tenchi Sōzō“ wartet mit einem der tiefsinnigsten Plots in der Geschichte der Videospiele.
Spielerisch Klasse mit kleineren Einschränkungen
Auch wenn die Story des Spiels anderes vermuten lässt: Tenchi Sōzō ist kein Aufbau-Strategiespiel wie Anno oder Civilization, sondern eine gute Mischung aus Action-Adventure und RPG. Aus der Vogelperspektive seht ihr euren Charakter, betretet Dungeons, löst Rätsel, führt Dialoge und seid stetig darum bemüht, stärker zu werden. Dies geschieht einmal durch die Konfrontationen mit Gegnern, die euch aufleveln lassen, aber auch durch das Finden von neuen Ausrüstungsgegenständen. Im Gegensatz zur Final Fantasy Reihe bestreitet ihr dabei keine rundenbasierten Zufallskämpfe sondern steuert アーク jederzeit direkt – eine Tatsache, die vielen Spielern entgegenkommen dürfte. Die Entwicklung der Städte gelingt nun in Adventure-Manier: ihr macht Fotos von einem entlegenen Dörfchen und überbringt sie einem Reisebüro, kurz darauf erblüht das kleine Städtchen dank nicht enden wollender Touristenströme; ihr erzählt einem Ingenieur von seiner gescheiterten Fernbeziehung und kurzerhand entwickelt er das Telefon… alle Fortschritte schlagen sich auch optisch nieder und verwandeln die jeweilige Stadt von präelektrischer Provinz hin zu einer netten Anlehnung an unsere technisierten Metropolen.
Terranigma macht viel richtig, wo manche SNES-Kollegen ordentlich versagen: die Steuerung reagiert zufriedenstellend, アーク bewegt sich angenehm schnell und das Kämpfen macht Spaß. Da gibt es ganz andere Rollenspiel-Urgesteine, die eure Geduld auf die Probe stellen. Der Schwierigkeitsgrad des Spiels ist moderat und sollte euch vor keine unlösbaren Probleme stellen. Eine Glaubensfrage sind übrigens die Rätsel im Spiel: während viele Spieler sie als fast schon trivial einfach empfinden, werden andere von unglücklichen Kleinigkeiten am Weiterkommen gehindert. An diesem Punkt nähern wir uns auch langsam den Schwächen des Spiels: während die Spielmechanik an und für sich gut funktioniert, sind einige Eckpunkte doch recht unintuitiv und umständlich gelöst. Mal müsst ihr einen Gegenstand nicht benutzen sondern lediglich auswählen, um weiterzukommen, mal verhält es sich andersherum. Mit welchen Objekten ihr dabei auf dem Bildschirm interagieren könnt und mit welchen nicht, ist nicht immer klar; oft hält man irgendeine merkwürdige Pflanze für reine Dekoration, bis man feststellt, dass man sie doch aufnehmen kann und sogleich ein neues Item erhält. Ähnliche Schwierigkeiten auch beim „Overworld-Screen„, also bei der Karte, auf der ihr euch von Ort zu Ort bewegt. Hier könnt ihr oft gar nicht erkennen, welcher Punkt eigentlich einen Zugang zu einem neuen Areal darstellt und wundert euch, warum ihr gerade nicht weiter kommt. Etwas überladen auch das (zugegebenermaßen ambitionierte) Menü: anstatt einfach zwischen Reitern zu wechseln, bewegt ihr euch hier durch verschiedene Räume um die gewünschte Aktion durchzuführen. Ihr geht also zum „Item“ Raum, benutzt dort eine Heilknolle, geht danach zum „Waffenraum“ und rüstet eueren neuen Speer aus, und so weiter. Das ist recht zeitaufwändig und mühsam – weniger wäre hier vielleicht mehr gewesen.
Hübsch gestaltet, musikalisch zauberhaft untermalt
Visuell bleiben wenig wünsche offen: liebevolle Details erzeugen eine dichte Atmosphäre und lassen die geheimnisvolle Welt erst richtig lebendig werden. Da brodeld zum Beispiel ein Kessel auf dem Herd, durch euer Heimatdorf zieht funkelnder Kristallnebel und über der Unterwelt wölbt sich ihr seltsam verzerrtes Spiegelbild; ein bisschen skurril wirkt vielleicht einzig der Gang des Hauptcharakters (von seiner Frisur gar nicht erst zu sprechen) und manchen Personen mangelt es doch arg an Gesichtszügen (Beispiel: der weise Mann aus eurem Heimatdorf). Weit bemerkenswerter als die Grafik ist jedoch der meisterhafte Soundtrack, der sich vor den ganz großen nicht zu verstecken braucht. Viele Lieder laden mit unvergesslichen Melodien zum Träumen ein und sollten auf keiner Retro RPG Playlist fehlen.
Sprache in Tenchi Sōzō
Für ein RPG-ähnliches Spiel hält sich Terranigma mit Texten zurück – kein Vergleich zu ausschweifend narrativen Phasen wie in den späteren Final Fantasy Teilen. Trotzdem bringt das Genre mit sich, dass Sprache ein zentrales spielerisches als auch erzählerisches Element darstellt, und dementsprechend hoch sind die Anforderungen für alle, die direkt mit der japanischen Version einsteigen. Dieser Ansatz ist wirklich nur etwas für Fortgeschrittene oder alle, die einen Haufen Arbeit beim spielen nicht scheuen und nicht sehr leicht zu frustrieren sind. Allen anderen empfehle ich eher, die Japanische Version zum „nochmal spielen“ auf dem Zettel stehen zu haben. Dann aber fett unterstrichen: die eigenwillige Übersetzung (siehe Slideshow) kann sich mit dem Original nämlich nicht messen; wichtige Nuancen gingen verloren und unnatürlich bis plump erscheinen die Dialoge im Deutschen (ich sage nur „Holerö!“). Wer sich nochmal auf das epische Schöpfungsabenteuer einlässt, der gewinnt viel dabei. Bei Begegnung mit unbekannten Wörtern wird euch der Kontext weiterhelfen und zwanglos mit neuen Vokabeln in Kontakt bringen.
Stichpunkte zur Sprache in Tenchi Sōzō:
- Voraussetzungen Erstspieler: Fortgeschrittene bis Profis; empfohlen JLPT N3 und besser
- Voraussetzungen Nochmal-Spieler: moderate Anforderungen; N4 aber empfehlenswert
- Text bleibt beliebig lange, außer im Intro
- Teils archaische oder jungenhafte Sprache, Themen aber größtenteils nicht sehr fordernd
- immer wieder leicht verständliche Passagen
- Textrelevanz: hoch
Fazit
Terranigma aka Tenchi Sōzō ist ein Edelstein mit kleineren Ecken und Kanten. Wer sich auf das ausgefallene Schöpfungsabenteuer einlässt, den erwartet ein herausragend gestaltetes, tief-poetisches Werk mit ausgezeichnetem Soundtrack. Schade, dass es damals nicht mehr Beachtung gefunden hat und neben den Giganten wie Chrono Trigger, Secret of Mana oder Final Fantasy 6 ins Hintertreffen geriet. Wer noch nie davon gehört hat, der hat einiges aufzuholen: über diesem Spiel liegt etwas Mystisches, das es zu einer echten Legende werden lässt.
Tipps und Gadgets (enthält teils gesponserte Links)
Bleibt die Frage: wie spielt man am besten? Hier ein paar Links zu Produkten, die vielleicht nützlich sind mit Pro’s und Cons.
Wer gerne per HDMI mit hoher Auflösung auf seinem Flachbildschirm spielt, für den ist der Retron 5 vielleicht einen Blick wert. Das Gerät akzeptiert Spiele von NES, SNES, Famicom, Super Famicom, Game Boy, Game Boy Advanced, Game Boy Color, Sega Mega Drive, Sega Genesis. Früher gab es Schwierigkeiten, die Cartridges vernünftig in den Slot zu stecken, aber mit der neuen Version ist das, glaube ich, behoben. Besser aber mal nachfragen.
Retron 5 auf Amazon
Wie bereits in meinem Yoshi’s Island Artikel erwähnt bin ich persönlich recht zufrieden mit dem Buffalo USB Controller, der zwar „SNES“ nicht im Namen trägt, aber exakt danach aussieht. Vor einem halben Jahr habe ich zwei davon gekauft und mehrmals Battletoads durchgespielt – sie reagieren also wirklich gut. Sind auch sehr erschwinglich.
Buffalo USB Controller auf Amazon
Das japanische Tenchi Sōzō ist in Deutschland schwer zu bekommen; wie die Lage in Japan aussieht, weiß ich leider nicht, wahrscheinlich aber sehr viel besser. Die deutsche Version „Terranigma“ kann man auf Amazon kaufen, gilt aber fast schon als Rarität und ist entsprechend teuer. Ihr solltet auch ehrlich gesagt mal lieber einen Blick auf Ebay werfen, bevor ihr auf Amazon kauft.
Bidvoy Ebay Preisverlauf von Terranigma
Terranigma auf Amazon
Ihr erwerbt damit ein Sammlerstück und wahrscheinlich ist es ratsam, nur gut erhaltene Exemplare mit Hülle zu kaufen (zumindest hat man mir das gesagt). Dann stehen die Chancen am besten, dass der Preis auch stabil bleibt oder unter Umständen noch weiter steigt.
Die deutsche Übersetzung war für die damalige Zeit eigentlich ganz gut, zwar sehr frei aber flüssig. Muss allerdings auch zugeben alle Aspekte der Handlung erst verstanden zu haben als ich es 15 Jahre nach dem Erscheinen das erste Mal auf Japanisch gespielt habe (gilt auch für andere Spiele wie Lufia oder FF6). War mir damals als Kind auch etwas zu verstörend, der Propeller auf Berugas Luftschiff, brr…
Komischerweise kennt das Spiel kaum einer meiner japanischen Spezis. In Deutschland wurde das damals ja ziemlich gehypt (war afair das letzte große SNES-RPG bevor das N64 rauskam).
Hallo Ludwig,
das mit der Übersetzung ist wahrscheinlich Geschmackssache, aber ich finde, dass gewisse „Freiheiten“, die sich die Übersetzer genommen haben, unsinnig und sehr Fehl am Platze waren. Gerade auch was die Namensänderungen anbelangt.
Ich wusste übrigens noch nicht, dass das Spiel damals gehyped wurde. Habe persönlich als Kind davon nichts mitbekommen und bin erst später durch Zufall darauf aufmerksam geworden.
Gefühlt kennen es heutzutage (zumindest in meinem Freundeskreis) nur noch wenig Leute; zumindest viel weniger als zB Chrono Trigger oder Lufia.
Es wurde damals schon lange vor dem Erscheinen viel Vorberichterstattung in der Club-Nintendo-Zeitschrift gemacht (natürlich aus Eigeninteresse), es gab Fernsehwerbung und einen Comic (in der CN-Zeitschrift). Der Comic war aber irgendeine Eigenproduktion, nicht der Manga zum Spiel von Mamiko Yasaka.
Wie Sandra schon schrub, das war damals eine andere Zeit, noch vor der ersten großen Japanwelle mit Sailormoon, Dragonball und Pokemon. Es gibt genug Leute die mit der japanischen Ästhetik nichts am Hut hatten und lieber Prügelspiele oder Jump’n’Runs gespielt haben. Die deutschen Übersetzungen der RPGs waren sehr an Kinder und Jugendliche gerichtet, merkt man besonders an Lufia (Estpolis 2).
Wird aber Zeit mal wieder Terranigma zu spielen :-3
Hey Alex!
Netter Artikel, allerdings sehe ich das mit der Übersetzung etwas anders:
Das Spiel ist Mitte/Ende der 90iger Jahre erschienen. „Lokalisierung“ heißt das Zauberwort – Marketingtechnisch mussten japanische Spiele mit japanischem Kulturgut an die westliche Welt und westliches Kulturgut angepasst werden…und die war damals noch kein bisschen so japanisiert wie heute. Ganz nach dem Motto: Was zur Hölle sind Ramen und kann man rohen Fisch wirklich essen? 😉
Klar ist es nicht sonderlich sinnvoll, einen eigentlich eh schon westlichen Namen nochmal komplett umzuändern (oder ausversehen Geschlechter umzuwandeln, wie bei Secret of Mana), aber mit Würstelgulasch und Holerö konnte ich als kleines Kind defintiv etwas anfangen. Falls du das nicht wusstest: Das Holerö war damals im Nintendo Deutschland Universum so etwas wie ein Running Gag, das kam überall vor und gewissermaßen Kult. Dieser ganze Claude M. Moyse Humor, der sich durch die deutsche 90iger Nintendo Welt zog, hat nicht nur für mich absoluten Kultstatus – eben genau aus dem Grund, dass sie sich für die Lokalisierung die Freiheiten genommen haben, ein eigentlich japansiches Videospiel mit deutschen Kulturgags zu verfeinern. Man erinnere sich an die Lindenstraße bei Secret of Mana oder der berühmt-berüchtigte Verhütungstip bei Link’s Awakening. All diese Spiele hatten Dank der Übersetzung und Anpassung an den deutschen Markt, einen unverkennbaren Charme…den man vielleicht auch einfach nicht versteht, wenn man nicht direkt damit aufgewachsen ist.
Würde Terranigma heutzutage lokalisiert werden, wäre das natürlich etwas komplett anders.
Hallo Sandra,
danke für deinen Kommentar!
Allerdings kann ich den „Charme“ der Übersetzung, von dem du sprichst, nicht wirklich nachempfinden. Lokalisierung schön und recht, aber hier wurde zu aggressiv vorgegangen und manchmal auch völlig planlos.
Ob die Namensänderung von „Bell“ (dem Erfinder des Telefons) zu „Sam“ sonderlich viel fürs westliche Verständnis beigetragen hat ist fraglich.
Viele Stimmungen des Spiels hätte man problemlos ins Deutsche transportieren können, ohne für große Verwirrung oder Befremdung zu sorgen.
Meinetwegen musste man, beispielsweise, den japanischen Namen „Yomi“ irgendwie eindeutschen, von mir aus; etwas Dunkles wie „Totenreich“ aber mit „Fluffy“ wiederzugeben, ist aus marktetingtechnischer Sicht nicht nur völlig unnötig sondern übersteigt auch massiv die Kompetenzen eines Übersetzers.
Ein Review ist immer subjektiv, und ich persönlich war von „Holerö“, „du bist ein echter Abfahrer“ und „Ich habe mit den Hühnern Fußball gespielt“ sehr befremdet. Bedeutend weniger brutal sind übrigens die englischen Übersetzer zu Werke gegangen, und die mussten das Spiel auch für den westlichen Markt anpassen.
Oh und ich habe gerade etwas aus Interesse recherchiert:
In den 90igern war es üblich, dass die Übersetzer nach Japan eingeflogen wurden, noch bevor das eigentlich Spiel auf japanisch erschienen war. Aus welchem Grund auch immer, Nintendo schien nur Übersetzer einzustellen, die nicht wirklich japanisch konnten. Stattdessen wurden den Übersetzern vage englische Skripts gegeben, um welche diese dann die lokalisierten Texte basteln mussten.
Mit dem Hintergrundwissen finde ich es ehrlich gesagt noch großartiger, was die damaligen Übersetzer an charmantem Storytelling geleistet haben.
Interessant, wusste ich noch nicht.
Lässt sicher die persönliche Leistung des Entwicklers in einem besseren Licht erscheinen, ändert aber nun ja nichts am Endresultat.
Eine Lokalisierung auf die Art vorzunehmen war sicher nicht einer der besten Ideen von Nintendo.