Silvester in Japan: Vom großen Putzen und dem Klang unserer Begierden

 

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Kaum ist Weihnachten vorbei, schon steht Silvester vor der Türe. Im Vergleich zum Fest der Liebe hat das Jahresende in Japan aber einen bedeutend höheren Stellenwert. Es makiert den Startpunkt für eine ganze Reihe von Traditionen – sofern diese denn überhaupt noch praktiziert werden, schließlich löst man sich ja auch in Japan zusehens vom Althergebrachten. So begnügt sich Mancher damit, einfach eine ganz normale Silvesterparty zu geben… ziemlich langweilig, oder? Wir widmen uns in diesem Artikel daher lieber der klassischen Variante, diese besondere Zeit zu begehen. Beginnen wollen wir mit einem Brauch, der wahrscheinlich niemanden nach Nippon locken wird: Das „große Saubermachen“ (大掃除, おおそうじ, oo souji).

1. Putzen und festlich dinieren

Das „große Saubermachen“ ist wirklich groß. Es ist mit Abstand das größte im ganzen Jahr, und die ganze Familie hilft mit. Raus muss der Dreck, in den Zimmern staubt es gewaltig und man rührt an Ecken, die für lange Zeit kein menschliches Auge mehr erblickt hat. Ziel des Ganzen ist, das neue Jahr erfrischt willkommen heißen zu können. Nami musste zu allermeist schon früh am Nachmittag zuhause auftauchen und kräftig mitanpacken. Sogar Kinder werden in dem Kampf gegen den Schmutz zu wackeren Streitkräften rekrutiert, niemand wird verschont. Nunja, fast niemand: Die Mamas sind häufig die einzigen, die nicht den Besen in die Hand nehmen müssen, und das aus gutem Grund. Ihnen obliegt eine weit wichtigere Pflicht, wichtiger sogar noch, als das Putzen. Ihr dürft dreimal raten, was den Japanern so viel bedeuten könnte… genau, das Essen selbstverständlich!

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Bei Weitem nicht so opulent wie das festliche Osechi: „Toshi-Koshi“ Soba wird am Silvesterabend eher gegessen, weil Mama mit den Vorbereitungen für Neujahr genug um die Ohren hat.

Eine der wenigen Traditionen, die wirklich von fast allen Familien noch praktiziert wird, ist das Neujahrsessen, das sogenannte „Osechi“. Es handelt sich um das üppigste Mahl im ganzen Jahr, und deshalb erfordert es natürlich auch eine entsprechende Vorbereitungszeit – Frau Mama ist also mehr als entschuldigt, wenn sie sich in die Küche zurückzieht während alle anderen schrubben. Über das Osechi gibt es viel zu erzählen – soviel, dass Nami ihm einen eigenen Artikel spendieren wird. Für den Moment wollen wir nur seine Wichtigkeit betonen, und versichern, dass ohne das „Osechi“ wirklich niemand das Kommen des neuen Jahres spüren kann. Gegessen wird es am ersten Januar… aber eigentlich dreht sich der Artikel ja um Silvester, richtig? Was gibt es also am letzten Tag des Jahres zu essen? Das ist das sogenannte „Toshi-Koshi“ Soba. Der Name setzt sich zusammen aus „Toshi“ (Jahr) und „Koshi“ (Übergang). Soba ist eine bestimmte Art von Nudeln aus Buchweizen, sehr ähnlich dem französischen Galette. Im Gegensatz zu dem flachen Franzosenprodukt ist Soba so lang und dünn wie Spaghetti und verhilft daher – so sagt man – zu einem langen Leben.

2. The same procedure as every year

Manche Dinge scheinen überall auf der Welt gleich zu sein, und so gehört zum klassischen Silvesterabend auch in Japan ein entsprechendes Fernsehprogramm. Den betrunkenen Butler und seine vereinsamte Herrin kennt dort aber niemand, und zumindest Nami mag sich der Humor von „Dinner for One“ nicht so ganz erschließen.

„Was hat das alles mit Silvester zu tun?“

„Ist die Handlung nicht eigentlich eher traurig?“

„Warum lachen die Leute immer wieder über den selben Witz, und das jedes Jahr?“

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Der populäre Songcontest „kouhaku uta gassen“ gehört zum Pflichtprogramm des japanischen Silvesternacht. Rechts im Bild sind die fünf Mitglieder der Band 嵐 (Arashi) zu sehen, die von 2010 bis 2015 als Moderatoren durch den Abend geführt haben.

Fragen, auf die Alex keine Antwort hat. Wie soll man Traditionen erklären, die man selber nicht so ganz versteht? In Japan, jedenfalls, schaut man statt dem „Dinner for One“ lieber ein Musikfest, das auf dem staatlichen Kanal „NHK“ gesendet wird und den Titel „Kouhaku uta gassen“ trägt. „Kouhaku“ (紅白) bedeutet soviel wie „rot und weiß“, und das gilt in Japan als die beste, die prächtigste Farbkombination. Glück und Freude symbolisierend, findet man sie häufig in Dekorationen für wichtige Anlässe wie Hochzeiten oder Volksfeste. In besagter Sendung sind es die Farben der beiden Teams, in denen die populärsten Sänger des Landes gegeneinander antreten. Ist es also sowas wie „Eurovision Songcontest“? Das wollen wir doch nicht hoffen! Laut Nami ist die Show sowohl unterhaltsam als auch über alle Maßen beliebt. In fast jedem Haus flimmert sie auf den Bildschirmen, und dementsprechend ehrenvoll ist die Teilnahme daran. Nur die erfolgreichsten Sänger und Sängerinnen des Jahres werden eingeladen, sogar noch höher sind die Anforderungen für den Moderator, der ja im Mittelpunkt des Abends steht. Wenn euch die Gesichter der Teilnehmer etwas sagen, dann seid ihr bereits ein echter Kenner der japanischen Unterhaltungsbranche!

3. Glockenklang und Begierde

Also, bislang haben wir geputzt, gegessen und ferngesehen. Den feierlichen Abschluss des Silvesterfestes bildet das „除夜 の 鐘“ (じょや の かね, joya no kane), eine buddhistische Tradition, bei der die Glocken des Tempels einhundertundacht Mal geschlagen werden. Damit wird bereits einige Minuten vor Mitternacht begonnen, so dass der ehrwürdige Klang der Glocken wirklich vom alten ins neue Jahr überleitet. Der Grund, warum genau einhundertundacht Mal geläutet wird, ist, dass wir angeblich einhundertundacht Begierden in uns tragen. Eine jede davon wird mit vier Eigenschaften charakterisiert:

Die Begierde betrifft

Auge, Zunge, Ohren, Körper, Nase oder Herz

Sie ist

angenehm, unangenehm oder neutral

Sie ist

sauber oder schmutzig

Sie gehört zu

diesem Leben, einem vergangenen Leben, einem zukünftigen Leben

glocke_im_buddhistischen_tempel

Wortwörtlich der „Ausklang des Jahres“: einhundertundacht Mal läuten die Glocken des buddhistischen Tempels, und erinnern uns an die einhundertundacht Begierden des Menschen.

Kurz den Mathe Unterricht aus der Schule rausgekramt, erkennen wir, dass es demzufolge 6 x 3 x 2 x 3 Möglichkeiten gibt, eine Begierde zu definieren, und wir erhalten unsere gesuchte Zahl von einhundertundacht. In Namis Fall wurde für gewöhnlich das „Kouhaku“ zu Ende geguckt, das Ergebnis entweder beklagt oder erfreut zur Kenntnis genommen und anschließend auf das Programm der schwingenden Glocke umgeschalten. Ganz recht: auch diesem Ereignis wohnt man bequem via Fernseher bei. Zehn Minuten lauscht man dem monotonen Läuten, dann ist das neue Jahr gekommen. Silvester mag dann vorbei sein, die heiße Phase der Traditionen und Rituale aber mitnichten.

Unserer kleinen Reise durch den japanischen Jahreswechsel hat ja gerade erst begonnen. Noch sind nach Mitternacht kaum ein paar Minuten verstrichen, noch hört man den wabernden Klang der buddhistischen Glocken, wie er langsam in der Nacht verhallt. Vor uns liegt das japanische Neujahr, und wir würden uns freuen, wenn ihr uns in ein paar Tagen in Namis Neujahr-Artikel auch weiterhin begleiten würdet.

Ein schönes Silvesterfest, eine gute Zeit mit euren Freunden und lieben Menschen und natürlich einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen euch Alex und Nami, die Nihongo Otsu Redaktion.

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