Was bedeutet für uns heutzutage das Wort „Unterhaltung“? High-End 3D Kinos mit glasklarem Surroundsound? Hollywood-Blockbuster mit Millionenbudget und einem Heer an hochbezahlten Stars? Es geht auch einfacher – bedeutend einfacher! Dieser Artikel befasst sich mit Rakugo, dem traditionellen japanischen „Ein-Mann Theater“, welches ohne jeden Schnickschnack auskommt und damit vorstößt zum Herzen der darstellenden Erzählkunst.
Die Hilfsmittel des Rakugo Künstlers sind begrenzt: er kniet auf einem Stückchen Stoff (Tenguin) und verfügt außer seiner eigenen Mimik und Gestik lediglich über einen einfachen Fächer aus Papier (Sensu). Aufgeführt werden unterhaltsame bis komische Geschichten, die mit einem plötzlichen Abbruch des Leseflusses pointiert werden und mit wenigen Schlussworten „ausklingen“. Alle auftretenden Charaktere werden selbstredend vom Rakugo Darsteller verkörpert, der blitzartig zwischen den einzelnen Rollen hin- und herspringen muss. Damit das Ganze nicht qualvoll langweilig oder unattraktiv bis plump wirkt, braucht es eine ordentliche Portion an schauspielerischem Können.
Ohne perfektes Japanisch in den Genuss von Rakugo kommen
Eines vorweg: Rakugo ist nicht direkt eine beliebte Unterhaltungsform unter den jüngeren Japanern. Es gilt eher als Hobby für alte Leute, wie etwa das Züchten von Bonsai-Bäumen oder das Falten von Origami, entsprechend wenig präsent ist es in der modernen Medienwelt Japans. Darüber hinaus hat sich die One-Man Show nicht nur über die Jahrhunderte verändert, auch unterscheiden sich Art und Aufführungsweise der einzelnen Stücke maßgeblich von Künstler zu Künstler. Es gibt also nicht „das Rakugo“, wie es stellvertretend für die ganze Kunstform verstanden werden könnte. Videomaterial mit englischen Untertiteln findet man wenig (von deutschen ganz zu schweigen), und mehr als schwierig ist es daher, sich als Nicht-Muttersprachler wirklich authentischem Rakugo anzunähern. Es gibt ein paar „Rakugoka“, die auf Englisch vortragen, aber trotz guter Leistungen nicht für jeden Zuhörer wirklich die klassische Atmosphäre transportieren können. Äußerst empfehlenswert ist das kürzlich ausgestrahlte, erstklassige Anime „Shouwa Genroku Rakugo Shinjuu„, zu dem eventuell ein eigener Review auf Nihongo Otsu erscheinen wird.
Rakugo – westliche Standup-Comedy nur im Sitzen und mit Fächer?
Ein paar Darbietungen von englischsprachigen Künstlern erinnern stark an die Vorstellungen von deutschen oder amerikanischen Comedian, die ja häufig auch ganz alleine auf der Bühne ihre Show aufführen. Ob und wie weit dabei noch japanischer Charakter mitschwingt oder letztlich nur seichter Klamauk abgezogen wird, hängt vom Akteur und nicht zuletzt natürlich auch vom Empfinden der Zuschauer ab. Im Gegensatz zu gewöhnlicher Comedy gibt es bei Rakugo jedoch kein individuelles Programm, das von jedem Künstler selbst zusammengestellt wird. Dargeboten werden stattdessen klassische Stücke, die von Generation zu Generation weitergegeben werden und damit oft mehr liefern können, als reine Unterhaltung. Interessant ist beispielsweise, welche Themen in diesen älteren Texten noch auf humorvolle Weise ihren Eingang finden und welche nicht mehr auftauchen.
Wie viel Erotik ist erlaubt? Wie viel Spielsucht, Trinksucht, Gaunerei? Es ist interessant zu hören, über was die Menschen im Japan der letzten Jahrhunderte alles lachen konnten, und über was nicht
Rakugo ist ein spannender Gegenentwurf zum modernen Bombast in der Medienindustrie, der mit seinem durch und durch japanischen Flair zu faszinieren weiß. Interessant auch für diejenigen, die sich mit der Kunst des Erzählens auseinandersetzen wollen – was könnte einem mehr beibringen, als so ein kompromissloser Minimalismus?
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