Die japanische Sagenwelt hat eine Menge faszinierender Gestalten zu bieten. So ging es das letzte Mal in unserer „Youkai Horror“ Serie um eine Dame mit langem Hals (Rokurokubi) und den mächtigen Fuchs (Kitsune). Manchmal können aber selbst Gegenstände zum Leben erwachen und euch üble Streiche spielen. Nehmt euch in Acht – wenn die sogenannten „Tsukumogami“ erstmal richtig loslegen, gibt es kein Halten mehr.
Als „Tsukumogami“ bezeichnet man Youkai, die ursprünglich einmal gewöhnliche Gegenstände waren: Tücher, Schuhe, Regenschirme, Sandalen … die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Warum sie sich verwandeln, hat meistens mit Vernachlässigung oder schlechter Behandlung zu tun. Auch ist es möglich, dass sie zum Leben erwachen, sobald ihr Alter die magische Zahl „einhundert“ erreicht. Wirklich gefährlich werden sie uns Menschen in den seltensten Fällen, aber es gibt Ausnahmen. In dieser Ausgabe von „Youkai Horror“ beschäftigen wir uns mit den berühmtesten Emporkömmlingen der „Tsukumogami“, die vielleicht -vor allem unter Kindern- die populärsten Youkai von allen sind.
1. Ittan Momen – das lange Tuch und die unaufrichtigen Entschuldigungen
Ittan Momen ist ein Paradebeispiel dafür, dass manchmal „weniger“ einfach „mehr“ ist. Zu seinem erstaunlichen Bekanntheitsgrad brachte er es trotz (oder gerade wegen?) seiner simplen Erscheinung – denn er ist nur ein ganz schlichtes, langes Tuch, das jedem Muster oder auffälliger Farbe entbehrt. Einmal in seine Youkai-Form verwandelt, flattert es gerne durch die Lüfte und stranguliert arme Passanten. Ihr seht: nicht immer ist mit den neckischen Tsukumogami gut Kirschen essen.
Ittan Momen ist ein Star, und er hat Auftritte in zahllosen Filmen, Spielen und Büchern. Die Macher von „Youkai Watch“ haben sein Aussehen dabei ein bisschen abgewandelt und sich ein interessantes Wortspiel zu Nutze gemacht: So geben sie ihm den Namen „Ittan Gomen“ und machen ihn zum
„Entschuldigungsyoukai“ – ein kleiner Quälgeist, der sich daneben benimmt um sich anschließend unaufrichtig zu entschuldigen. Sein Slogan lautet dabei „Gomen, gomen, ittan gomen!“ und wird in der Show so häufig wiederholt, dass es einem ernsthaft auf die Nerven gehen kann. Neben dem recht offensichtlichen Wortspiel zwischen „Momen“ und „Gomen“ ist weit bemerkenswerter, dass „Ittan“ auch soviel bedeuten kann wie „für den Moment“, „vorrübergehend“ oder „fürs Erste“. Es unterstreicht also die Halbherzigkeit der geheuchelten Reue und macht den länglichen Lumpen noch unsymphatischer. Da wünscht man sich doch eine scharfe Schere zur Hand!
2. Au Backe – es ist Karakasa Obake!
Hat euch euer Regenschirm schon mal die Zunge rausgestreckt? Ich hoffe für euch doch sehr, dass die Antwort „Nein“ lautet. Karakasa Obake trifft man häufig in der High Society der japanischen Fabelwesen. Mit seinem lustigen Aussehen könnte er dabei glatt einem Kinderbuch entsprungen sein: Die lange Zunge, das große Auge… und, naja – es ist schließlich ein Regenschirm! Meistens haben zum Leben erweckte Gegenstände zwangsläufig etwas Komisches, Humorvolles an sich, aber Karakasa Obake doch ganz besonders. Er ist dabei nicht der einzige Tsukumogami mit schlabberiger Zunge: Auch sein guter Freund, die lebendig gewordene Laterne „chouchin obake“ besitzt ein gewaltiges Geschmacksorgan. Gemeinsam tauchte das dynamische Duo bereits im Spiel „Super Mario Land 2“ auf, und machten dem italienischen Klempner das Leben schwer.
3. Die Nacht des wandelnden Krempels – eine rein östliche Idee?
Das alles ist ja schön und gut, aber die Mythen und Sagen eines Landes sind mehr, als nur unterhaltsame Geschichten. Sie können uns viel über die Mentalität seiner Menschen erzählen und dabei interessante Eigenheiten ans Tageslicht bringen. Es stellt sich also die Frage, wie besonders die Tsukumogami im weltweiten Vergleich eigentlich sind.
Unsere germanische Mythologie ist, beispielsweise, genau wie die japanische, reichhaltig und fantasievoll: Da gibt es Zwerge, Riesen, Elfen, Wechselbälger und eine ganze Reihe von kriegsverliebten Göttern. Jedoch, lebendig gewordene Gegenstände findet man darin kaum. In der römisch/griechischen Mythologie ist die Sache sogar eher umgedreht: Vielfach verwandeln sich hier belebte Wesen in starre Objekte, wenn auch nicht direkt in Dinge des täglichen Gebrauchs: eher werden sie zu Steinen (Battus), Quellen (Biblis), Statuen oder gar Bergen (Atlas). Vereinzelt nur findet man Aufzeichnungen über Totes, Anorganisches, das beginnt, zu atmen und sich zu bewegen. Pygmalion, ein König der Antike, erschaffte sich eine Frauenstatue nach seinen Wünschen und verliebte sich so unsterblich in sie, dass die Liebesgöttin Venus Mitleid mit ihm hatte und die Figur zum Leben erweckte. Jedoch, solche Geschichten sind eher die Ausnahme und treffen nicht ganz den Kern der Tsukumogami.
Etwas näher kommen wir der Sache, wenn es um das Thema „Zauberei“ geht. Allerlei Hexen und Magier hauchen ihren Haushaltsgegenständen Leben ein, um sich den Alltag zu erleichtern. Mickey Maus lässt im „Zauberlehrling“ die Besen marschieren, Aladdin fliegt auf einem lebendigen Teppich durch die Lüfte und in „die Schöne und das Biest“ spricht und tanzt gar das gesamte Mobiliar des Schlosses. Und doch: der Grundgedanke bei den „Tsukumogami“ ist ein anderer. Nicht durch eine fremde Macht oder Hexerei werden diese zu handelnden Wesen – sie besitzen bereits eine Seele, bevor sie sich verwandeln, und erst Vernachlässigung lässt sie zu Youkai werden. Gibt es in westlichen Medien und/oder Sagen ebenfalls Gegenstände, die selbstständig zum Leben erwachen oder bereits lebendig sind?
Nun, im weitesten Sinne: Ein paar Animationsfilme wie „Toy Story“ oder „Cars“ benutzen diese Idee – eher kindorientierte Produktionen, die wahrscheinlich zu dem wenig verbreiteten Story-Element gegriffen haben, um originell zu sein. Um es kurz zu machen: sprechende Dinge findet man in japanischen Medien zu Hauf, scheinen im Westen aber – wenn wir jetzt nicht gerade Kinder als Zielgruppe betrachten – weniger akzeptiert zu sein. Man kann also durchaus von einer sehr bemerkenswerten Facette der japanischen Mythologie sprechen. Mag sie vielleicht Ausdruck einer erhöhten Wertschätzung gegenüber den Dingen sein, die uns das tägliche Leben erleichtern und schließlich mit viel Mühe hergestellt wurden? Kann es sein, dass diese Denkweise im japanischen Bewusstsein eher verankert ist, als bei uns?
Nami berichtet, dass ihr beigebracht wurde, Gegenstände gut zu behandeln um nicht ihr Missfallen zu erregen oder sie „traurig“ zu machen.
Ich kann so etwas von meiner eigenen Erziehung nicht behaupten.
Das Ziel des Artikels war, einen kleinen Einblick in die Welt der Tsukumogami zu geben und auf die Suche nach Ähnlichkeiten in anderen Kulturen zu gehen. Dabei konnte ich natürlich nur einen winzigen Teil der ganzen Medien- und Sagenwelt rund um den Globus betrachten. Kennt ihr Filme, Fernsehserien, Bücher, Comics, Legenden oder Spiele, die mit dem Thema zu tun haben und vielleicht einen anderen Blickwinkel eröffnen können? Schreibt es in die Kommentare 🙂 Die Welt der Youkai ist umfangreich und hat noch viel zu bieten. Nächstes Mal dreht sich alles um den Homo Sapiens, und wie er durch unglückliche Umstände in die Youkai-Welt gleiten kann.