Die besten Lernstrategien für Kanjis

Kanjis sind faszinierend. Warum sonst würden sie sich so viele Europäer und Amerikaner als Tattoo stechen lassen oder
aufs T-Shirt drucken?
Nachdem die Anzahl der Kanji-Liebhaber unter den Japanophilen dieser Welt noch bedeutend größer ausfallen dürfte, kann man vermutlich behaupten: Wer japanisch lernen will, der ist von den schwungvollen Tintenwesen zumindest ein bisschen verzaubert.
Die Motivation ist also vorhanden. Wir wollen ja Kanjis lernen, aber…
es gibt genug Gründe, die dem motivierten Anfänger gehöriges Unbehagen bereiten können.
Tausende davon gilt es zu meistern, manche gleichen sich fast aufs Haar, und da wären noch die Komposita…
Wer mit der falschen Strategie in den Kampf zieht, der empfindet die Situation schnell als aussichtslos und wird in unruhigen Nächten von schwarzen Teufeln aus Pinselstrichen geplagt.
Wir haben verschiedenste Techniken ausprobiert, uns auch mit so manch vollkommen nutzloser herumgeplagt, und präsentieren hier nun die besten Lernstrategien für Kanjis.

1. Eselsbrücken – es ist ein Anfang

Mit Eselsbrücken (und zwar selbst mit den Dümmsten der Dummen) kann man überraschend schnell und mühelos Erfolge erzielen.
Das Prinzip ist einfach: man lässt beim Betrachten des Zeichens seine Fantasie schweifen und versucht sich Bilder oder Geschichten auszudenken, die mit seiner Bedeutung verknüpft sind.
Das Ergebnis ist verblüffend: in Windeseile scheint man Zeichen um Zeichen nur so zu verschlingen. Ich selber habe es damals mit Katakana ausprobiert und war schnell überzeugt.
Schauen wir uns zum Beispiel das Kanji für „Dorf“ an:

村 (むら, mura)

Meine erste Eingebung war, dass es sich um einen Mann (rechts) neben einem Baum (links) handelt, der etwas fallen lässt.
Wie um alles in der Welt sollte ich das mit einem Dorf in Verbindung bringen?
Nun, Dörfer grenzen häufig an Wälder, Wälder bestehen aus Bäumen, ergo: der Mann steht an der Grenze des Dorfes, dem Waldanfang.
Meine Geschichte war: Er schmeisst seine Karte weg, denn er erkennt, dass er sie in dem winzigen Dorf nicht benötigt.
Ich weiß, ihr habt vollkommen recht: es ergibt keinen Sinn, es ist verdreht und ein bisschen idiotisch.
Aber so schwer es auch zu glauben ist, ich habe das Zeichen auf diese Art fehlerfrei und auf Anhieb gespeichert.
Die Eselsbrücken können nie zu absurd sein, werden vielleicht mit zunehmender Absurdität noch effektiver. Also scheut euch nicht, ziemlichen Quatsch zu erfinden – das ist bei dieser Methode ausdrücklich erlaubt!
Jedoch, so schön es klingt, der Ansatz hat seine Grenzen.
Wir können das gut verstehen, wenn wir einen Blick auf das Kanji für „gelb“ werfen:

黄 (き, ki)

Es spielt keine Rolle, wie genau unsere Eselsbrücke hier lautet. Vielleicht sehen wir ein Feld mit gelben Sonnenblumen,
vielleicht einen Feuersalamander…
nun stolpern wir in einem japanischen Text über folgendes Zeichen:

Was immer wir uns ausgedacht haben, wir werden es dort wiedererkennen – es ist exakt das gleiche Kanji, nur mit einem Baum 木 auf der linken Seite. Leider bedeutet es etwas völlig anderes.
Man ließt es „yoko“ (kun) oder „ou“ (on) und es bedeutet „neben“.
Ob wir uns daran erinnern können, dass bei dem Kanji für „gelb“ eben _kein_ Baum auf der linken Seite stand?
Wahrscheinlich nicht.
Und wie wird unsere neue Geschichte aussehen? Ein Sonnenblumenfeld plus Baum bedeutet plötzlich „neben“?
Schwierig zu verstehen, noch schwieriger zu merken.
Das ist das Problem mit Eselsbrücken: Kanjis bestehen aus wiederkehrenden Elementen, sogenannten „Radikalen“,
und deshalb werdet ihr immer wieder ähnlichen davon begegnen.
Ist die Anzahl der sich ähnelnden Zeichen noch überschaubar (wie es bei der Katakana Schrift der Fall ist), kann man das Problem mit ein bisschen Aufwand in den Griff bekommen, bei über 2000 Kanji ist die Situation jedoch problematischer.
Es ist fast unvermeidbar, sich ab einem gewissen Punkt hoffnungslos mit seinen Geschichten zu verzetteln und am Ende für jedes in einem Text auftretende Kanji vielleicht gerade noch eine unsichere Vermutung abgeben zu können.
Kurz und gut: Die Methode funktioniert, um sich schnell einen Grundstock der simpelsten Kanji anzueignen, jedoch nicht für mehr.
Seit euch auch dessen bewusst, dass ihr mit Eselsbrücken einen Umweg beschreitet, den ihr sowieso irgendwann revidieren müsst.
Das Ziel ist, lesen (wenn nicht sogar schreiben) zu lernen, und das setzt eine direkte Verbindung zwischen dem Schriftzeichen und seinem entsprechenden Laut in eurem Kopf voraus. Eselsbrücken sind ein Umweg, der euch zur Bedeutung des Zeichens führt, aber zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Wenn ihr bei jedem Kanji Überlegungen notwendig werden a la „Hmm… das ist doch eine Säge, und hier steht der Pfarrer, und…“, dann hat das eher was von „Hyroglyphen entziffern“ als von flüssigem Lesen. Letzteres erreicht ihr nur durch Übung und ständiges Wiederholen.

Vorteile:

– Verblüffend schnelle Erfolge
– Müheloses Aneignen der simpleren, grundlegenden Kanji

Nachteile:
– Ähnliche Kanji können schnell miteinander verwechselt werden
– Komplexe und abstrakte Elemente machen das Ausdenken von Eselsbrücken schwierig

2. The japanese way: wiederholen, wiederholen, wiederholen

In der japanischen Grundschule ist das Erlernen von Kanji ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts.
Die am weitesten verbreitetste Methode ist dabei das schriftliche Wiederholen.
Ein neues Zeichen wird zunächst einmal in detaillierter Strichfolge dargestellt, d.h. der erste Strich wird gesetzt, daneben die ersten Zwei, daneben die ersten Drei, und so weiter.
Anschließend wird das Kanji zwanzig mal abgeschrieben, wobei die Schüler „korrekte“ Versionen abliefern müssen; fehlgeschlagene Versuche und Ausschuss werden nicht mitgezählt.
Die Übung wird abgeschlossen, indem drei Beispielsätze gebildet werden, die das neue Kanji beinhalten.
Auf diese Art üben die Kinder jeden Tag, mindestens sechs Jahre lang.

Der Gedanke liegt nahe, dass die japanische Didaktik die effektivste von allen darstellt – schließlich hat das Land der aufgehenden Sonne mit Abstand die meiste Erfahrung mit dem vermitteln seiner Schrift und ganz offensichtlich auch Erfolg.
Ob es nun wirklich die Beste aller denkbaren Methoden ist, darüber sollen sich Wissenschaftler streiten, und womöglich finden sie so schnell keinen Konsens.
Fakt ist: „The japanese way of doing it“ funktioniert, und millionen Japaner sind der Beweis dafür.
Meine persönliche Erfahrung kann das nur bestätigen: Wer Kanji lernt wie ein Japaner, der wird darin sattelfest.
Verwechslungen werden selten, die Hand „erinnert“ sich recht genau an die gemalten Formen.
Die korrekten Strichfolge einzuhalten ist dabei wichtiger, als man denkt.
Sie gibt eine Dynamik vor, die einem – meinem subjektiven Empfinden nach – das Lernen leichter macht.
Andere Ansätze locken mit großen Versprechungen, mit der Aussicht auf scheinbar schnelleren Erfolg – häufig stellt sich am Ende jedoch die vermeintliche Abkürzung als Umweg heraus.
Wer „das Original“ einmal selbst testen möchte, der kann sich gerne die Nihongo-Otsu Übungsseite herunterladen.
Popo-Sensei hat sie selbst erstellt und erklärt euch _hier_, wie ihr sie benutzt.
Es ist Teil der von uns empfohlenen _Lernstrategien_ (schaut euch die Seite unbedingt an, falls ihr es noch nicht getan habt).

Schlussendlich muss noch erwähnt werden, dass Kanjis dem Gedächtnis natürlich auch wieder entschlüpfen können.
Das geht nicht nur uns so, sondern auch Muttersprachlern:
Begegnet man einem Kanji für lange Zeit nicht mehr, gerät es in Vergessenheit.
Das einzig wirksame Mittel dagegen ist, sich den bereits erlernten Zeichen soviel es geht auszusetzen.
Ob ihr anfangt, _Kindergeschichten_ zu lesen, ein einfaches Tagebuch zu führen oder vielleicht eurem japanischen Freund immer mal wieder was Nettes zu schreiben:
Der konstante Fluss an Kanji ist für eure Fähigkeiten ebenso wichtig, wie das tägliche Gießen für eure Blumen.

Falls sich für euch das „immer wieder Schreiben“ mühsam und langweilig anhört, werft doch mal einen Blick auf unsere Kalligrafie Reihe. Vielleicht könnt ihr eurem Kanjistudium mehr abgewinnen, als ihr denkt.
Es hat fast meditativen Charakter, schult sowohl Koordination als auch Motorik
und ist eine tiefe Kunst mit einer unvergleichlichen Ästhetik.

Posted in Japanisch lernen and tagged , , .